Den Traum vom Fliegen leben
Küchen, Kindergärten, Landwirtschaft: Mit diesen Begriffen assoziiert man so gar nicht einen der größten Flughäfen Europas. Doch der Münchner Airport bietet genau dies: Eine Kleinstadt mit der Anmutung einer Metropole, in der sich alles um das Fliegen dreht.
Es ist freilich keine „gewachsene“ Stadt, es ist eine Stadt vom Reißbrett. Sieben Jahre dauerten die Arbeiten im Erdinger Moos, dann zog der Flughafen in nur einer Nacht von Riem aus an seinen neuen Bestimmungsort. Es folgte ein rasantes Wachstum, es folgte ein zweites Terminal und demnächst ein „Satellit“ genannter Neubau für noch mehr Gepäckstücke, Passagiere, Mitarbeiter. Auch jetzt schon gehören die nackten Zahlen ins Reich der Superlative: 30.000 Angestellte sorgen dafür, dass allein im Terminal 2 pro Jahr 25 Millionen Passagiere abgefertigt werden können. Weitere zehn Millionen schafft das „alte“ Terminal 1. Die Passagiere bringen dabei natürlich viel Gepäck mit: Pro Tag sind es 100.000 Koffer & Co., sortiert innerhalb von 15 Minuten, zugestellt an die Gepäckausgabe-Bänder oder in ein anderes Flugzeug – und das bei einer Gesamtlänge des Sortiersystems von insgesamt 58 Kilometern.
Geht dabei auch mal etwas verloren? „Rund 5 Prozent der Gepäckstücke fallen aus dem Raster“, gibt Monika Eicke vom Besucherprogramm des Münchner Flughafens zu. Der Grund dafür ist aber in der Regel nicht das Versagen des Sortiersystems – dafür sorgen gleich drei Zahlencodes auf der Transportwanne, dem Gepäckstück selbst und dem Transportwagen auf dem Rollfeld. Vielmehr entdecken die Mitarbeiter in den Koffern allerlei Kurioses – und Verbotenes: „Vom Singvogel über Lebensmittel und Drogen bis hin zu Leichenteilen haben unsere Kontrollsysteme schon alles gefunden“, resümiert Monika Eicke.
Ist alles in Ordnung, wird das Gepäck in die riesigen Bäuche der Verkehrsflugzeuge verladen. Nicht länger als 35 Minuten Standzeit dürfen die Maschinen am Boden haben – Zeit ist schließlich Geld. Deshalb findet die Wartung der Luftgiganten auch erst spät in der Nacht statt: „Ab 22 Uhr geht es bei uns erst richtig rund“, bestätigt auch Friedrich Sorger von der Lufthansa Technik. Er arbeitet in der riesigen Wartungshalle, die über 300 Meter lang und fast 90 Meter breit ist. Selbst große „Vögel“ wie der Airbus 400-600 passen problemlos in die gigantische Halle, „nur der neue A380 ist leider zwei Meter zu hoch“ bedauert Sorger. Dennoch wirkt der Bau wie ein Spielplatz Marke Gulliver – ein Spielplatz für Technik-Freaks. Und vielleicht auch Abergläubische: An der Hallenwand hängt ein mindestens fünf Meter langer Schlapphut. Ein Glücksbringer? Sorger lacht: „Nein, nein. Den haben Passauer Bürger als Aufsatz für einen Airbus gespendet, als wir eine Maschine auf den Namen der Stadt getauft haben.“
Bei allem Spaß: Bei den Mitarbeitern herrscht ernste Sorgfalt. Kritisch sind vor allem die Triebwerke und die Landefahrwerke. Allein deren Stickstoff gefüllte Reifen werden spätestens nach 300 Starts und Landungen ausgetauscht – dann schimmert schon das Stahlgewebe durch. Kostenpunkt dieses besonderen Reifenwechsels: 10.000 Euro. Aber auch der Service wird groß geschrieben: So bietet das Wartungsteam eine Trockenwäsche des Flugzeugs mit Oberflächenversiegelung an. Was in der Waschstraße fürs Auto jedoch nur fünf Minuten dauert, braucht bei einem großen Airbus sieben Mitarbeiter, die nicht weniger als 13 Stunden im Einsatz sind.
Derart poliert, gewartet und beladen gehen die Maschinen wieder aufs Rollfeld. Hier übernimmt die Flugüberwachung im Tower die Regie. Hochkonzentrierte Fluglotsen steuern das Geschehen in der Luft von einem abgedunkelten, flüsterleisen Raum aus. Die schöne Aussicht können sie dabei kaum genießen: den Rundumblick über das gesamte Flughafengelände, über die Start- und Landebahnen und das elegante Dach des Terminals 1, das der Stararchitekt Helmut Jahn entworfen hat. Wahrscheinlich werden die Fluglotsen auch das Schwanken unter ihren Füßen nicht mehr wahrnehmen, denn der Tower bewegt sich wie ein Blatt im Wind: Bis zu drei Meter kann sich der 78 Meter hohe Turm neigen – ein Gefühl wie auf einem Schiff.
Ein Schiff auf großer Fahrt; einer Fahrt, die nie endet: Rund um die Uhr ist der Tower besetzt. Der offizielle Flugbetrieb endet zwar spätestens um null Uhr und beginnt erst wieder um fünf Uhr morgens, doch auch mitten in der Nacht gibt es Sonderflüge, die abgefertigt werden müssen – der Airport München ist eine Stadt, die niemals schläft. Grund genug für viele Mitarbeiter, gleich am Flughafen zu wohnen. Schließlich ist die Infrastruktur perfekt: Es gibt Supermärkte, S-Bahn-Anschluss und einen Kindergarten namens „Airport Hopser.“ Dazu gesellen sich mehrere Küchenbetriebe, eine eigene Feuerwehr samt Winterdienst, selbst gebrautes Bier vom „Air Bräu“ und sogar ein Flughafen-Honig vom firmeneigenen Bienenvolk. Dieses wurde offiziell nur angesiedelt, um die Luftqualität per „Bio-Monitoring“ zu überwachen, aber nach der Erntezeit, so Monika Eicke, „ist der Honig immer gleich weg.“ Ein Nachgeschmack von Kerosin soll der süße Aufstrich übrigens nicht haben – der liegt nur als leichter Schleier in der Luft. Und riecht irgendwie nach Fernweh.
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