Volksentscheid in der Schweiz: Der Wähler hat immer Recht – oder?
Am Ende reichten 20.000 Stimmen: Mit einer knappen Mehrheit von 50,3 Prozent wurde die Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ von den Schweizer Wählern angenommen. Ein weiteres Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung von nationalen Volksentscheiden oder eine fragwürdige sachpolitische Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen?
Durch direkte Demokratie sollen die Betroffenen entscheiden: die Bürger. Man hätte also annehmen können, dass vor allem Menschen in städtischen Ballungsgebieten und Regionen mit hohem Ausländeranteil für eine strengere Einwanderungspolitik stimmen. Paradoxerweise ist jedoch das Gegenteil eingetreten – denn die Personenfreizügigkeit wurde vor allem dort abgelehnt, in der sie am wenigsten spürbar ist.
Je höher der Ausländeranteil und je höher der Urbanisierungsgrad, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen gegen die Initiative gestimmt haben. Zu diesem Schluss kommt eine Analyse des Forschungsinstitutes GfS Bern. Natürlich gibt es Ausnahmen. Der Kanton Tessin, in dem es eine sehr hohe Einwanderung aus der italienischen Lombardei gibt, hat sich mit ganzen 68,2 Prozent für die Initiative ausgesprochen.
Diffuse Ängste vor Lohndumping und steigenden Mieten haben demnach über volkswirtschaftliche Bedürfnisse und völkerrechtliche Verträge gesiegt. Denn die Umsetzung der Initiative führt zwangsläufig zu einer Aufkündigung der bilateralen Verträge mit der EU. Fällt die Personenfreizügigkeit, fällt auch der freie Zugang zum europäischen Waren- und Kapitalverkehr und andere Privilegien der Schweiz. Die Folgen für die Schweizer Unternehmen und Arbeitnehmer sind nicht abschätzbar.
In diesem Kontext fällt es deshalb schwer, den Sinn und Nutzen von Volksentscheiden zu solchen Themen zu sehen. Schließlich befriedigt das Ergebnis vielleicht kurzfristige Emotionen und Ressentiments. Langfristige, nationalökonomisch relevante Aspekte werden dabei aber nicht berücksichtigt. Ähnlich wie beim Volksbegehren in Österreich zur Wehrpflicht im Januar 2013 stellt sich auch hier die Frage: soll das Volk über jede Sachpolitik entscheiden dürfen? Damit beschäftigt sich auch das buch von Prof. Dr. Stephan Heller „Verhindern und Ermöglichen“.